Dinge, die “raro” sind, Teil 3 - das Schulsystem
(Achtung, langer Text)
Mir ist aufgefallen, dass ich sehr wenig über die Schule schreibe. Das liegt daran, dass sie mir nicht sehr interessant vorkommt. Aber merkwürdig ist sie schon.
Wo fangen wir an. Vielleicht bei einem der wichtigsten Themen in der Schule, den Noten? Die sind hier nicht so wichtig - außer man will deutsches Abitur machen…
Man kann in Argentinien nicht durchfallen, man kann nur zu einer Nachprüfung müssen. Wenn man die nicht besteht, kommt wieder eine Nachprüfung und wieder und wieder. Das kann bis zum Ende der Schulzeit und darüber hinaus passieren. Daher sind die Noten eher zweitrangig, vor allem für die Schulleitung, die es schafft, die Umrechnungstabelle vom Argentinischen ins deutsche System 3 Mal im laufenden! Schuljahr zu ändern.
Überhaupt “Schulleitung”! Man sagt ja, dass es schlecht sei, wenn es mehr Häuptlinge als Indianer gibt. Hier ist das so. Neben dem Deutschen Schulleiter, seiner Stellvertretung, diverser Fachbereichsleiter und Koordinatoren gibt es natürlich parallel eine Argentinische Leitung, Stellvertretung, pädagogische Leitung etc. Außerdem einen Schulverein mit einem Vorstand und Sekretariat und dazu einen Verwaltungsleiter mit Sekretariat. Dazu eine Verwaltung mit vielen Mitarbeitern und natürlich das schon früher mal erwähnte 80 köpfige Hausmeister- Putzfrauen- Wächterteam. Dazu eine externe Kantine, eine Bibliotheksverwaltung, zwei hauptamtliche Psychologen, ein dreiköpfiges Kopierteam, eine vielzahl IT-Techniker UND mein Lieblingsjob: die Präzeptoren - was das ist?
Weiß ich auch nicht so genau. Es sind Personen, die in einem Glashäuschen vor den Klassenzimmern sitzen und (nein, nicht mit Steinen werfen) Handy spielen. Den ganzen Tag sitzen sie da (angeblich sind es ausgebildete Lehrer) und spielen an den Handys. Ab und zu kommen sie (zu möglichst ungeschickten Zeiten) in die Klasse, unterbrechen den “Profe” oder den Schüler, der gerade etwas präsentiert. “Disculpe Profe, tengo que hacer alguna cosita, solo dos minutitos” und erzählen der Klasse irgendetwas oder teilen etwas aus oder füllen eine Liste aus. Ich gehe da inzwischen immer Kaffee holen…
Zeitverschwendung
Viele in Deutschland fordern ja Ganztagesschulen und verweisen auf die vielen Länder, wo das angeblich so toll sei. Ich kann dem System immer weniger abgewinnen. Die Schule ist eine Verwahranstalt für die Kinder. Die Kinder verbringen einen Großteil ihres Lebens an diesem Ort. Sie beginnt um 7:50 und endet um 16:20, viele Schüler haben danach noch Sport in der Schule. Die 9 Schulstunden täglich führen also zu !45! Wochenstunden Schule. Da es kaum Kunst und Musikunterricht gibt, haben die Schüler also sehr viel “Fachunterricht”. Dabei unendlich viele Wiederholungen. Z.B. wird in argentinischer Geschichte immer nur argentinische Geschichte behandelt, also von 1816 - heute. Das ist ja nicht so viel und es ist auch nicht so viel interessantes passiert, dass sich das nicht ziemlich wiederholen würde. Das Gleiche gilt für Geographie und seine “Begleitfächer”, Sozialkunde, “Entwicklung der Gesellschaft (desarrollo de la sociedad) ”, “Naturkunde (ambiente)” und natürlich das alles auch noch als Erörterungsthemen in Deutsch, Spanisch und Englisch. Die Schüler sind durch die lange Zeit in der Schule und die vielen sich wiederholenden und überschneidenden Themen und den Umstand, dass man eh nicht durchfallen kann, so gelangweilt und gleichzeitig wegen der vielen Klassenarbeiten (und den Umstand, dass man im Deutschen System doch durchfallen kann) so gestresst, dass das nicht gut sein kann für die Entwicklung der Kindern. Umsomehr (und dadurch, dass sie ja auch ihre gesamte Freizeit in der Schule verbringen) lassen sie sich durch alles ablenken. Man denkt natürlich über ein Handyverbot nach, dann lenken sie sich halt mit den Tieren vor dem Fenster ab…
Schuluniform
Ein Thema, das ja auch in Deutschland immer mal wieder diskutiert wird, von wegen Chancengleichheit usw. Hier zementiert sie den sozialen Status. Kinder in Schuluniformen sind auf Privatschulen und damit reich. Außerdem trägt die Schuluniform natürlich wenig dazu bei eine eigene Identität zu entwickeln. Auch wenn ich dem “Gender”-Thema eher ambivalent gegenüberstehe, die Schuluniform ist ein krasser binärer Geschlechtsmarker. Mädchen in kurzen, grünen Röcken und weißen Blusen. Jungs in Anzugshosen oder - da fast jeden Tag Sport ist - in mausgrauen, meist dreckigen Jogginghosen und noch dreckigeren weißen Polohemden.
Eltern…
Eltern bezahlen hier ungefähr den Durchschnittsverdienst eines normalen Argentiniers als Schulgeld. Nahezu alle Angestellten der Schule könnten sich die Schule für ihrer Kinder nicht leisten…
Für dieses hohe Schulgeld erwarten die Eltern aber auch einiges. 1. das Kind muss von zuhause weg gehalten werden. 2. es muss gute Noten haben. 3. es braucht ständig psychische Begleitung, weil es a) mobbt, b) gemobbt wird, c) beliebiger weiterer Grund…
Immer steht natürlich die Drohung im Raum, dass man das Kind (meist die Kinder) von der Schule nehmen würde, wenn nicht… Da die Schule von einem Verein (dem die Eltern automatisch angehören) geleitet wird, haben die Eltern tatsächlich sehr viel Einfluss auf die Schulleiter und auch direkt auf die ja alle angestellten Lehrer.
Gibt’s noch was “Interessantes” an der Schule? Für uns natürlich inzwischen normal, aber nach den Schulmassakern in den USA doch nicht so unsinnvoll, sind die bewachten Eingänge und die strengen Regeln für das Betreten und Verlassen der Gebäude. Kein Schüler darf ohne Genehmigung durch die Eltern und die Schule das Gebäude alleine verlassen. Niemand, der nicht einen wichtigen Grund hat, darf die Schule durch die 4 Eingänge betreten. Die Schule ist Rund um die Uhr, 24/7, bewacht.
Fazit für mich für Deutschland. Keine Privatschulen! Keine Schuluniform! Keine Ganztagsschulen! Keine Überfrachtung der Fächer! Schule lebenswert gestalten!