Campo - was ist das?
Wir wussten ja schon, dass es in Argentinien eine ausgeprägte Gaucho Kultur gibt. Viele Autofahrer beten und glauben an Gauchito Gil, der überall am Straßenrand kleine Kultstätten hat.
Aber, was es wirklich bedeutet “auf dem Campo” zu sein, war mir bisher nicht klar. Ich dachte, dass die Viehzucht eigentlich ein ziemlich einfacher Vorgang sei. Rinder auf die eingezäunte Weide, sie vermehren sich von selbst und irgendwann sind sie fett und man holt sie ab. So einfach ist es nicht. Als wir jetzt in Corrientes waren, haben wir gesehen, wieviel Arbeit es dann doch ist. Trotz Gründonnerstag und Karfreitag volles Programm auf dem Campo. Zunächst musste eine Herde gegen Zecken und andere Parasiten behandelt werden. Dazu wurden die ca. 40 Kühe und Stiere und ebenso viele Kälber vereinzelt und durch ein Becken getrieben, in dem man sie in der Chemikalie untertauchen kann. Dass die Kühe das nicht freiwillig machen und vorher und nachher ziemlich verstört sind, ist wahrscheinlich klar. Aber ein 800 Kilo Stier kann ziemlich aggressiv reagieren. Zum Glück wissen die Gauchos (und ihre Hunde und Pferde), wie man damit umgeht, aber es gab einige krasse Situationen.
Später wurde die nächste Herde geimpft, also wieder Viehtrieb mit Stöcken, Pferden, Schreien usw. Alles deutlich wilder und gefährlicher, als man vielleicht denkt. Dann Reparatur eines Windrades, das Grundwasser in Tränken pumpt. Allerdings nicht direkt am Farmgebäude, sondern weit weg, irgendwo auf dem 3000 Hektar Gelände. Schon die Fahrt im Toyota Hilux ein Abenteuer, Straße Fehlanzeige, zum ersten Mal sehe ich ein, dass man so ein Auto braucht. Wir brauchen Allrad, Differenzialsperre und Kriechgang, um durch Flüsse und Matschlöcher zu kommen. Der Chef zeigt uns Yakares (“kleine” Kaimane) und Wasserschweine. Beim Windrad weist er mehrfach auf Schlangen hin, die sich überall im Unterholz verstecken. Die Reparatur ist kompliziert. Zum Glück haben die Arbeiter wirklich alles Nötige dabei, "alles" bedeutet auf dem Campo: “Alambre y tenaza” Draht und Schere. Damit kann man wirklich alles reparieren, vom Zaun über das Auto, den Traktor, das Dach, die Windmühle.
Wir besuchen einen Köhler, eine Arbeit, die man sich nicht hart genug vorstellen kann…
Später sind wir am Fluss und die Kinder können am Strand sandeln (hier gibt es wohl keine Kaimane). Die Erwachsenen besuchen einen Messerproduzenten, der aus altem Stahl mit selbstgebauten Geräten Messer herstellt. Dabei wird alles re- oder besser upgecycelt. Der Griff besteht aus Horn, Alublech von Bierdosen, 1 Pesos Stücken, Lederresten etc. Die Klinge aus alten Sägeblättern oder anderem gehärteten Stahl.
Gegen Abend wird dann Polo gespielt, eine Sportart, bei der man perfekt reiten können sollte und sehr viel Ballgefühl benötigt. Mit meinem gebrochenen Finger ist das natürlich besonders schwer.
Das Asado bereitet man auf dem Boden zu, einen Grill braucht man hier nicht!
Im Sonnenuntergang gehen wir zum Angeln und fangen tatsächlich einen Fisch, einen Piranha. Also, besser nicht baden in der Lagune.
Der grandiose Sternenhimmel macht nochmal klar, wie weit man von der Zivilisation entfernt ist. Die nächste Stadt ist 200 km entfernt und 1000 km in jede Richtung ändert sich die Landschaft fast nicht.
Wenn man dann im Bett liegt, weiß man, dass Campo mehr ist als ein Bauernhof. Es ist ein Lebensgefühl, ein Zustand, eine Daseinsform, die so fundamental anders ist, als das Leben in Buenos Aires - und natürlich als das Leben in Deutschland. Ein unvergesslicher Ausflug!
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